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Textauszug aus der monografischen Publikation: 

Jerry Haenggli - Ohne Titel - Zwischenwelten

2010 Kehrer Verlag, Heidelberg - Berlin 

Autor: Andreas Meier

 

Malerei wie ein Peitschenhieb 

 

Nichts Erbauliches, Schönes und Feines. Keine trostspendenden und aufmunternden Visionen. Transzendentes und Heilsversprechendes hat in Jerry Haengglis Bildwelten keinen Platz. Gerne möchte man neben der angsteinflössenden Seite die angstbannende Gegenkraft vermuten. Die Ächtung und Verbannung des Bösen mittels Bildkraft.

 

Weshalb sich gerade auf diese Bilder einlassen? Ein einstweiliges Zögern nach einem ersten Atelier-Gespräch. Die erlebten Bilder haben mich anschliessend nicht mehr losgelassen. Der Widerhaken hatte gefasst. War ich vielleicht erst befangen in der gängigen ästhetischen Vorstellung, was Bilder an Wänden zu leisten hätten: identitätsstiftend, aufbauend, ernsthaft oder sogar humorvoll zu wirken, kleine Ausblicke in die Unendlichkeit gar. Unerwartet stellten sich Schreib-Impulse ein. Auch reizte das Motiv, inneren Widerständen zu trotzen. Und last not least war da eine unbestreitbare Bildkraft, die den Beschauer in Bann zieht, wenn er dieser Malerei begegnet. 

 

Es gibt die jüngere Tradition der „Bad Painting“, die sich über die Illusion der Wirkkraft von Bildern und den vermeintlich guten Geschmack lustig macht. Wer sich zu den Liebhabern solch unbekümmerten Spiels und lustvoll deftiger Verletzungen gegenüber kunstgeschichtlicher Tradition zählt, outet sich als eigenständiger Verächter des Establishments mit seinen zahlreichen gefälligen Accessoires. In dieser ironischen Malerei der Postmoderne ist die Ablehnung jeglicher Regeln und Verbindlichkeiten eine Form der Auflehnung. Wer sich mit solchen Bildern die Wohnung schmückt, deklariert, dass er sich als cooler Verächter des Mainstreams sieht, und stark genug, gegen ihn leben zu können. Mag sein, dass auch bei Jerry Haengglis Anspielungen an eine Punk-Kultur diese Haltung mitschwingt: die Suche nach einem Ort fern aller Korruption und Korrumpierbarkeit, ein Akt schöpferischer Freiheitserklärung, die auf jedes Schulterklopfen eines Galeristen oder einer Kunstkommission verzichtet.

 

Haenggli erfindet Bilder, die uns an Fernsehreportagen und an die täglichen Pressebilder erinnern, die uns bis in die Träume verfolgen, undurchsichtige Konfrontationen mit einer fernen Wirklichkeit, der wir mit einem natürlichen Misstrauen begegnen, gerade weil sie sich öfters einer klaren Interpretierbarkeit entziehen.

 

Diese Bilder der Verwüstung sind gleichzeitig Bilder der Hilflosigkeit. Der Bildzeuge kann nicht zugleich Helfer sein. Wie der Ambulanzfahrer, der Chirurg, der Kriminologe und der Bestatter ist der Fotograf ein Element am Rande der Natur-Katastrophe und des Kriegsgeschehens. Die Trauerarbeit und die Reflexion ist nicht seine Sache. Wenn es darum geht Traumata, die seelischen Verwundungen zu heilen, so sind es jene die nach den Momenten innerer Verstörung wieder Worte suchen und Bilder formen: Bilder des Gedenkens, Worte der Versöhnung, Versuche weiterzuleben, Gewalt einzudämmen.

 

Bilder wie Picassos Guernica sind aufklärerische Bildfindungen, die uns helfen möchten, Gewalt vorzubeugen und Konflikte in ihrem Entstehen aufzuspüren, denn die dunkle Seite ist in jedem von uns. Sie tritt in gewissen sozialen Kontexten der Gesellschaft und Familie in Erscheinung, und wird zur unkontrollierten Aggression. Das dämonische Innere, das wir vage mit Vorstellungen des Teuflischen und im modernen Sinne der Verhaltensforschung mit Aggression in Verbindung bringen, das einzeln und in kollektiven Zusammenhängen, immer wieder ausbricht, verlangt Wahrnehmungsschärfung. Es ist da. Und mit schönen Bildern können wir es nicht beschönigen. Dann lieber hinschauen statt wegsehen.

 

In dieser Gegend bewegt sich Jerry Haenggli. Seine Malerei sucht die Vieldeutigkeit, die dem kritischen Verstand das Hinsehen abverlangt. Fragen nach den Ursachen der Versehrung und der Gewalteinwirkung, der Selbst-Verstümmelung und der Zerstörungslust. Die Störung des Bildschönen durch malerische Eingriffe heisst Eindringen in diese dunklen Zonen aggressiven Verhaltens, unter die Oberfläche des schönen Scheins vordringen. In der Mallust ist die Aggression gebannt. Ersatzhandlung und Forschungsfeld in visuelles Neuland, ganz abseits jeder Überlegung, wie das beim Betrachter ankommt. Sich einer möglichen Ablehnung aussetzen als eine Möglichkeit künstlerischer Authentizität ohne jedes Schielen nach Akzeptanz. Kompromisslos sucht Jerry Haenggli diesen Weg, form- und zielbewusst.  

 

Andreas Meier

*1949, lic. phil. Kunsthistoriker und Germanist

1990 – 2002 Gründungsdirektor, Kunsthaus CentrePasquArt, Biel

2003 – 2008 Direktor, Seedamm Kulturzentrum, Pfäffikon

ab 2008 Freischaffender Autor und Publizist

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